Urteile

1. Werkstatt klärt nicht richtig auf – Schadenersatz für Motorschaden

Eine Werkstatt muss dem Kunden Schadenersatz zahlen, wenn sie ihn nach einer ordnungsgemäß durchgeführten Reparatur nicht auf weitere fällige Reparaturen an seinem Auto hinweist. Das hat das Oberlandesgericht Düsseldorf entschieden.

Reparatur fachgerecht ausgeführt

Ein SUV-Fahrer hatte sein Auto zur Reparatur des Motors in eine Autowerkstatt in Duisburg gebracht. Dabei wurden umfangreiche Arbeiten am Motor durchgeführt. Unter anderem erneuerte die Werkstatt alle hydraulischen Ventilspielausgleichselemente und einen Kettenspanner. Die Steuerketten, die zum Zeitpunkt der Reparatur schon stark abgenutzt und austauschbedürftig waren, untersuchte die Werkstatt aber nicht. Einige hundert Kilometer nach der Abholung des Autos erlitt der Motor deshalb einen Totalschaden. Der Kunde verlangte Schadenersatz von der Werkstatt und klagte.

Prüfpflicht der Werkstatt

Das OLG Düsseldorf gab dem SUV-Fahrer Recht. Die Werkstatt hätte den Zustand der Steuerketten überprüfen und dem Kunden einen Austausch empfehlen müssen, so die Richter. Der Auftrag umfasste zwar nicht die Reparatur der Steuerketten. Die Richter führten aus, dass die Werkstatt bei der Reparatur aber auch auf Mängel an den Teilen des Autos hätte achten müssen, mit denen sie sich bei der Reparatur beschäftigte. Nach der Reparatur konnten diese Mängel nämlich nicht mehr ohne weiteres entdeckt und behoben werden.

Hinweis auf andere notwendige Reparaturen fehlte

Die Werkstatt hat diese Prüf- und Hinweispflicht verletzt, so die Richter. Daher musste sie dem SUV-Fahrer die Kosten für den Kauf und Einbau eines Austauschmotors erstatten. Von diesen Kosten wurden aber die Kosten, die der Kunde ohnehin wegen des Austauschs der Steuerketten hatte, abgezogen. Beide Kosten waren fast gleich hoch (je ca. 3.500 Euro), so dass der Kunde letztendlich nur einen Nutzungsausfall (1.000 Euro) und die Kosten für ein privat eingeholtes Sachverständigengutachten (ca. 2.400 Euro) zugesprochen bekam.

OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.10.2019, Az.: I-21 U 43/18


2. Rolls Royce als Sofortkauf bei eBay

Drückt ein eBay-Käufer bei einem zum Sofortkauf angebotenen Rolls Royce auf den „Kaufen“-Button, besteht ein Kaufvertrag. Das gilt auch dann, wenn der Käufer ca. 11 Minuten nach dem Sofortkauf angibt, dass er nicht auf „Kaufen“ gedrückt hätte und sich dabei auf eine Fehlfunktion seines Handys beruft.

Aus Versehen auf „Sofort kaufen“ geklickt

Der Kläger bot über ebay einen „Rolls Royce Silver Shadow“ für 19.999,- Euro zum Sofortkauf an. Ein paar Minuten nach dem Kauf, meldete sich der Käufer beim Verkäufer und teilte mit, dass er gar nicht auf den Button „Sofort kaufen“ gedrückt habe. Vielmehr sei eine Fehlfunktion seines Handys die Ursache für den Kauf gewesen. Der Verkäufer bestand aber auf dem Kaufvertrag. Er forderte den Käufer mehrmals schriftlich auf, den Rolls Royce zu bezahlen und abzuholen. Der Käufer verweigerte das, weil seiner Meinung nach kein Kaufvertrag zustande gekommen sei.

Der Verkäufer trat aufgrund der Weigerung des Käufers vom Kaufvertrag zurück und verkaufte den Rolls Royce ca. vier Wochen später an einen anderen Käufer. Dabei erzielte er jedoch nur einen Kaufpreis von 17.500,- Euro. Den Differenzbetrag zum ursprünglichen Kaufpreis verlangte der Verkäufer vom ersten Käufer als Schadensersatz und klagte. Das Amtsgericht Aschaffenburg gab dem Verkäufer Recht. Der Käufer ist verpflichtet, dem Verkäufer den Differenzbetrag zu erstatten.

Wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen

Die Richter waren der Ansicht, dass zwischen Käufer und Verkäufer ein wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen ist. Der Käufer hatte durch das zweimalige Klickens des „Sofort kaufen“ Buttons den Rolls Royce vom Verkäufer gekauft. Unerheblich ist, ob der Käufer das Angebot des Verkäufers auch wirklich annehmen wollte. Der Verkäufer durfte die Willenserklärung des Käufers so verstehen, der Käufer das Angebot über den Sofortkauf annehmen und den Rolls Royce kaufen wollte.

Keine Anfechtung des Vertrages möglich

Für eine Anfechtung seiner Annahmeerklärung konnte der Käufer nicht glaubhaft darlegen, wie sein Handy selbständig zweimal den Kauf bestätigen konnte. Der Käufer hatte behauptet, dass sich sein Handy trotz Drückens der Sperrtaste nicht gesperrt habe. Das reicht für eine Anfechtung des Kaufes nicht aus, so die Richter. Da sich der Käufer weigerte, den gekauften Rolls Royce zu bezahlen und abzuholen, durfte der Verkäufer vom Vertrag zurücktreten.

Schadenersatz: Käufer muss den geringeren Kaufpreis beim Weiterverkauf erstatten

Der Käufer muss dem Verkäufer den Differenzbetrag zwischen dem ursprünglichen und dem tatsächlich beim zweiten Verkauf erzielten Kaufpreis erstatten. Ein Mitverschulden des Verkäufers für den geringeren Kaufpreis sahen die Richter nicht. Er inserierte den Rollc Royce nach dem gescheiterten Kaufvertrag weiter für den ursprünglichen Kaufpreis, konnte aber letztlich nur den geringeren Kaufpreis erzielen. Dabei war nach Ansicht des Gerichts zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Rolls Royce nicht um ein gängiges Fahrzeug handelt, für das es nur einen begrenzten Interessentenkreis gibt. Der Käufer konnte nicht darlegen, dass ein anderer Käufer bereit gewesen wäre, den ursprünglichen Kaufpreis von 19.999,- Euro zu zahlen.

AG Aschaffenburg, Urteil vom 17.04.2019, Az.: 130 C 60/17


3. Seenot: Reisepreisminderung und Schmerzensgeld wegen Todesangst bei der Heimreise

Ein Ehepaar war auf der Heimreise aus einem Maledivenurlaub mit dem Transferschiff in Seenot geraten und hatte dabei Todesangst erlitten. Das Landgericht Köln sprach den Reisenden deshalb eine Reisepreisminderung und Schmerzensgeld zu.

Sturm, Schlagseite, Schwimmwesten – Todesangst bei Passagieren eines havarierten Transferbootes

Bei der Fahrt mit dem Transferboot spielten sich dramatische Szenen ab. Das Boot legte ab, obwohl eine Sturmwarnung vorlag und obwohl das Transferschiff schon auf dem Hinweg in ein Unwetter geraten war und der Rückflug deshalb nicht mehr rechtzeitig erreicht werden konnte. Das Transferschiff geriet in ein Unwetter und bekam Schlagseite, es schlugen große Wellen über das Boot, das gesamte Gepäck wurde durchnässt. Alle Schiffsmotoren fielen aus und das Schiff trieb manövrierunfähig im Meer. Die Passagiere sollten Schwimmwesten anlegen. Der Kapitän setzte einen Notruf ab, nachdem die Motoren zwar kurz wieder in Gang gebracht werden konnten, dann aber erneut ausfielen. Der Kläger und seine Ehefrau litten Todesangst. Auch das Navigationssystem war ausgefallen, so dass die Crew versuchte, andere Schiffe mit Taschenlampen auf sich aufmerksam zu machen. Als sich schließlich ein Boot der Küstenwache näherte, krachte dieses gegen das Transferschiff. Es kam erneut zu Panik unter den Fahrgästen des Transferbootes. Erst nach einem erneuten Notruf konnte ein Schiff der Marine das havarierte Boot an Land schleppen.

Der Ehemann klagte und verlangte die Rückzahlung des gesamten Reisepreises und ein Schmerzensgeld für sich und seine Frau, die als Folge der traumatischen Überfahrt eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten hatte. Der Reiseveranstalter wollte nichts bezahlen, er berief sich auf höhere Gewalt.

Transferboot in Seenot – Reisepreisminderung und Schmerzensgeld für die Reisenden

Das Landgericht Köln sprach dem Ehepaar eine Reisepreisminderung in Höhe von ca. 4500 Euro (das entspricht dem ursprünglich bezahlten Reisepreis) und Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 6000 Euro zu.

Der Reiseveranstalter habe das Ehepaar schuldhaft in eine nicht beherrschbare Gefahrensituation gebracht, indem die Transferfahrt trotz der erkennbaren schlechten Witterungsverhältnisse durchgeführt wurde. Der dadurch entstandene Mangel der Reise war nach Ansicht der Richter so erheblich, dass der Erholungswert der gesamten Reise hinfällig war. Die Höhe des Schmerzensgeldes der Frau des Klägers wurde auf 5500 Euro festgesetzt, da diese infolge des traumatischen Erlebnisses psychische Schäden erlitt.

Hinweis: Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Landgericht Köln, Urteil vom 15.1.2019, Az.: 3 O 305/17


4. Airline muss Kunden mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit über Änderungen unterrichten

Eine Fluglinie muss ihre Fluggäste mindestens zwei Wochen vor Abflug über Änderungen der planmäßigen Abflugzeit unterrichten. Eine Information von der Airline an den Reiseveranstalter und eine allgemeine Information auf der Website der Fluglinie reichen nicht aus.

Airline muss rechtzeitig über geänderte Abflugzeit unterrichten

Der Kläger hatte für sich und seine Familie eine Pauschalreise nach Rhodos gebucht. Der Hinflug sollte am 3.8.2018 um 5:00 Uhr von Nürnberg nach Rhodos gehen. Die beklagte Airline verlegte am 25.5.2018 den Flug des Klägers auf den 3.8.2018 um 18:05 Uhr und informierte am gleichen Tag den Reiseveranstalter über diese Änderung. Den Kläger unterrichtete die Airline erst mit E-Mail vom 21.7.2018 über die geänderten Flugzeiten. Schon am 19.7.2018 hatte der Kläger versucht, über die Homepage der Fluglinie Sitzplätze zu reservieren, dabei hatte er auf der Homepage der Airline die geänderten Flugzeiten bemerkt.

Der Kläger verlangte von der Fluglinie eine Ausgleichszahlung für sich und seine Familie.

Information über geänderte Flugzeiten auf der Homepage der Airline nicht ausreichend

Das Amtsgericht Nürnberg hat dem Kläger und seiner Familie insgesamt 1.600 Euro Ausgleichszahlungen zugesprochen, weil die Airline den Kläger nicht rechtzeitig über die Annullierung der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet hat. Die Information an den Reiseveranstalter über die Änderung der Flugzeiten reicht nach Ansicht der Richter nicht aus. Weder Reisevermittler noch Reiseveranstalter können eine solche Unterrichtung für den Fluggast wirksam entgegennehmen, so die Richter.

Dass die Airline auf ihrer Homepage schon die geänderten Abflugzeiten eingestellt hatte, als der Kläger versuchte, dort eine Sitzplatzreservierung vorzunehmen, ändert nach Ansicht der Richter nichts. Der Anspruch auf Ausgleichszahlung fällt nach der Fluggastrechteverordnung nur weg, wenn die Fluglinie den Fluggast rechtzeitig, zweck- und zielgerichtet über die Änderungen unterrichtet hat. Es reicht nicht, dass der Fluggast z.B. bei der Sitzplatzreservierung mehr oder weniger zufällig Kenntnis von der Änderung der Flugzeiten bekommt. Die Fluglinie muss den Passagier vielmehr bewusst und zweckgerichtet über die Änderungen informieren.

AG Nürnberg, Urteil vom 6.2.2019, Az.:  19 C 7200/18


5. Gebrauchtwagenkauf: Zusage „Auto fahrbereit“ ist keine Haltbarkeitsgarantie

Der Hinweis „fahrbereit“ in einer Annonce bezieht sich vor allem auf den verkehrssicheren Zustand des Autos. Der Verkäufer übernimmt mit dieser Aussage aber keine Garantie dafür, dass das Fahrzeug noch längere Zeit oder für eine längere Strecke fahrbereit bleibt. Wenn das Auto nach dem Kauf noch 50 bis 100 Kilometer problemlos fährt, hat der Verkäufer die Beschaffenheit „fahrbereit“ erfüllt.

Gebrauchtwagenkauf: Zusage „Auto fahrbereit“ ist keine Haltbarkeitsgarantie

Der Hinweis „fahrbereit“ in einer Annonce bezieht sich vor allem auf den verkehrssicheren Zustand des Autos. Der Verkäufer übernimmt mit dieser Aussage aber keine Garantie dafür, dass das Fahrzeug noch längere Zeit oder für eine längere Strecke fahrbereit bleibt. Wenn das Auto nach dem Kauf noch 50 bis 100 Kilometer problemlos fährt, hat der Verkäufer die Beschaffenheit „fahrbereit“ erfüllt. Das hat das Oberlandesgericht München entschieden.

20 Jahre altes Auto nach knapp 100 Kilometern defekt

Im Herbst 2015 inserierte ein Verkäufer sein gebrauchtes Auto, Baujahr 1996, auf Ebay. In der Anzeige bezeichnete er das Auto als „fahrbereit“. Außerdem stand in dem Inserat die Information: „Verkauf aufgrund des Baujahres 1996 (20 Jahre alt) als Bastlerfahrzeug ohne Gewährleistung. Fahrzeug sollte unbedingt besichtigt werden, um spätere Unstimmigkeiten auszuschließen“. Der Käufer machte eine Probefahrt und kauft das Auto mit einem mündlichen Kaufvertrag für 10.500 Euro.

Auf dem Heimweg traten bereits nach 50 bis 100 Kilometern Probleme an dem Auto auf. Das Auto nahm kein Gas mehr an, am Wohnort des Käufers ließ sich das Auto gar nicht mehr starten. Die Kosten für die Reparatur des Autos wurden vom Käufer mit 5.720,35 Euro angegeben. Ein Sachverständiger stellte später fest, dass das Steuergerät des Fahrzeugs korrodiert und die Batterie defekt war. Der Käufer klagte auf Erstattung der Reparaturkosten.
In der ersten Instanz wiesen die Richter die Klage ab, der Käufer legte Berufung ein.

„Fahrbereit“ heißt nicht „auf Dauer fahrfähig“

Das OLG München bestätigte die Entscheidung der ersten Instanz. Das Gericht ging davon aus, dass in dem Vertrag ein wirksamer Gewährleistungsausschluss vereinbart war. Dafür sprach auch der Text der Ebay-Anzeige. Die Richter sahen kein arglistiges Verschweigen eines Mangels durch den Verkäufer und auch kein Garantieversprechen, das der Verkäufer gegeben hätte.

Der Hinweis „fahrbereit“ in Gebrauchtfahrzeug-Annoncen bezieht sich vor allem auf den verkehrssicheren Zustand des Autos. Das Auto darf also keine verkehrsgefährdeten Mängeln haben. Außerdem muss der Betrieb des Autos in seinen wesentlichen technischen Funktionen möglich sein, so die Richter.

Der Verkäufer gibt aber mit der Beschaffenheitsvereinbarung „fahrbereit“ keine Haltbarkeitsgarantie. Er haftet nicht für eine längerfristige Fahrbereitschaft des Autos. Wie lange und für welche Strecke das Auto nach der Übergabe fahrbereit bleibt, ist weitgehend das Risiko des Käufers. Nach Ansicht der Richter reicht eine (zunächst problemlose) Fahrt von 50 bis 100 Kilometern aus, um die Beschaffenheit „fahrbereit“ zu erfüllen. Der Käufer bekam die Reparaturkosten nicht ersetzt.

OLG München, Urteil vom 12.6.2019, Az.: 7 U 1630/18

Hinweis: Die Entscheidung des OLG München steht Übereinstimmung mit einem Urteil des BGH (Urteil vom 22.11.2006, Az.: VIII ZR 72/06).


6. Section Control: Rechtsstreit um neues Messverfahren entschieden

Während in anderen Ländern bereits seit Jahren Section Control zur Tempoüberwachung im Einsatz ist, ist es in Deutschland rechtlich umstritten. Das Pilotprojekt auf der B6 wurde daher gerichtlich überprüft und jetzt vom OVG Lüneburg für zulässig erachtet.

Was ist Section Control eigentlich?

Section Control ist ein in Deutschland neues Verfahren zur Geschwindigkeitskontrolle. Dabei wird nicht das Tempo eines Fahrzeugs an einer bestimmten Stelle erfasst, sondern dessen Durchschnittsgeschwindigkeit zwischen zwei Messpunkten. Hierfür werden die Ein- und Ausfahrtzeitpunkte aller Fahrzeuge in dem Messabschnitt vollautomatisch registriert. Die Kennzeichen der einfahrenden Fahrzeuge werden laufend mit den Kennzeichen der ausfahrenden Wagen verglichen. Stimmen diese überein, so wird die Fahrtzeit ermittelt und die Durchschnittsgeschwindigkeit berechnet.

Anforderungen des Datenschutzes 

Die automatische Erfassung aller Kfz-Kennzeichen (personenbezogene Daten) durch optische Zeichenerkennung (ANPR) betrifft die informationelle Selbstbestimmung der Autofahrer. Ohne entsprechenden Anfangsverdacht wäre dieser Grundrechtseingriff nicht zu rechtfertigen.

Um den Datenschutzanforderungen zu genügen, wird die Zeichenfolge mit einer kryptologischen Hashfunktion verschlüsselt, so dass kein Rückschluss auf das Kennzeichen beim Auslesen des Datensatzes möglich ist. Anschließend werden nur mehr die berechneten Hashwerte am Ein- und Ausfahrtquerschnitt verglichen. Die Bilder vom Ein- und Ausfahrtquerschnitt werden anonymisiert, verschlüsselt und nach kurzer Zeit wieder gelöscht, sofern kein Geschwindigkeitsverstoß vorliegt. Somit sind während der Messung keine Rückschlüsse auf das Fahrzeug oder personenbezogene Daten möglich.

Um im Fall eines festgestellten Verstoßes den Fahrer für den Bußgeldbescheid ermitteln zu können, wird das Fahrzeug vergleichbar zu bisherigen Radarkontrollen, am Ende des kontrollierten Streckenabschnitts zusätzlich noch von vorne fotografiert.

Geänderte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat seine bisherige Rechtsauffassung geändert und entschieden, dass die ausnahmslose Erfassung aller Kennzeichen zu Kontrollzwecken stets eine Datenerhebung und damit einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt (Az. 1 BvR 2795/09 u.a.). Bereits das Scannen sei freiheitsbeeinträchtigend. „Zur Freiheitlichkeit des Gemeinwesens gehört es, dass sich die Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich fortbewegen können, ohne dabei beliebig staatlich registriert zu werden“, heißt es in einem der Beschlüsse des BVerfG. Aufgrund der Schwere des Eingriffs sei dieser nur erlaubt, wenn eine ausdrückliche gesetzliche Regelung gegeben sei.

Verkehrsüberwachung mittels „Section Control“ auf B 6 wieder erlaubt

Das OVG Lüneburg (Az. 12 LC 79/19) hat entschieden, dass der Streckenradar auf der B6 rechtmäßig ist. Die Anlage geht damit wieder in Betrieb.

Im Vorfeld hatte das Verwaltungsgericht Hannover noch einer Klage stattgegeben, in der der Kläger in der Datenspeicherung einen Eingriff in sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung sah. Der Streckenradar wurde daraufhin vorläufig ausgeschaltet. Diesem Urteil folgte noch im Mai diesen Jahres das OVG Lüneburg. Doch bereits im Juli kam das OVG – jetzt allerdings auf Grund des zwischenzeitlich geänderten und in Kraft getretenen Niedersächsischen Polizeigesetzes – zu einem anderen Ergebnis und hob das Verbot vorläufig auf. Das neue Polizeigesetz hatte nach Ansicht des Gerichts die bislang fehlende Eingriffsermächtigung für den Streckenradar geschaffen.


7. Tempo 200: Bedienen des Infotainmentpakets kann teuer werden

Fährt ein Autofahrer mit 200 km/h auf der Autobahn und bedient das Navigationssystem, so ist ein dadurch entstandener Unfall grob fahrlässig und die Kaskoversicherung kann die Zahlung zumindest teilweise verweigern.

Volle Konzentration bei 200 km/h

Ein Mietwagen fuhr auf der Autobahn mit Tempo 200. Das hochmotorisierte Auto sollte von Erlangen nach Berlin überführt werden. Der Fahrer bediente trotz der hohen Geschwindigkeit das eingebaute Infotainmentpaket, um weitere Informationen über die Strecke abzurufen. Dazu musste er in dem ihm unbekannten Mietwagen an einem in der Mittelkonsole angebrachten Drehregler auf dem Bildschirm eine Leiste ansteuern, bei der sich verschiedene Register öffnen, über die wiederum weitere Unterpunkte angewählt werden konnten. Während er mit der rechten Hand das System bedient habe, hat er mit der linken das Lenkrad gehalten.

Während dieser Zeit achtete er nicht auf die Straße, kam von der Fahrbahn ab und touchierte die Leitplanke. Der Vermieter rechnete den Schaden mit der Kaskoversicherer ab. Diese wollte den Schaden später von dem Fahrer zurückfordern.

Mehrere Sekunden andauernde Ablenkung bei Tempo 200 ist grob fahrlässig

Das OLG Nürnberg gab der Versicherung in Höhe von 50% recht. Eigentlich war in dem Vertrag zwar vereinbart, dass eine komplette Schadenübernahe erfolgt, die Versicherung hatte sich aber das Recht vorbehalten, Ersatz zu fordern, wenn grobe Fahrlässigkeit vorliegt.

Der Fahrer hatte eingeräumt, zur Bedienung des Navis die rechte Hand vom Steuer genommen zu haben. Um das System bedienen zu können musste er, nach Meinung des Gerichts, den Blick nicht nur ganz kurz von der Straße nehmen. Das sei bei Tempo 200 grob fahrlässig. Selbst bei einer Ablenkung von 3 Sekunden würde ein Weg von über 165 Meter zurückgelegt.

Spurhalteassistent entlastet den Fahrer nicht

Dass das Fahrzeug mit einem Assistenzsystem („Spurhalteassistent“) ausgestattet war, entlastet den Fahrer auch nicht.

Das Gericht stellt fest, dass bei derart hohen Geschwindigkeiten die Gefahren und die Notwendigkeit sofortiger Reaktion bereits so erheblich gesteigert sind, dass in dieser Situation hinsichtlich der Anforderungen an die Aufmerksamkeit des Fahrers keine Abstriche mehr gemacht werden können.

Mietwagen war dem Fahrer nicht vertraut

Da der Fahrer mit dem zu überführenden Fahrzeug nicht vertraut war, konnte er sich nach Ansicht der Richter, erst recht nicht darauf verlassen, dass das Assistenzsystem des Fahrzeugs einen Unfall vermeiden helfen würde, zumal bei einer Geschwindigkeit von 200 km/h die Reaktionszeit denkbar kurz gewesen war.

Durch die Ablenkung ist der Fahrer zu weit nach links und in die Leitplanke gefahren. Die Versicherung war daher berechtigt, die den geltend gemachten Regress in Höhe von 50 % des Schadens zu verlangen.

OLG Nürnberg, Urteil vom 2.5.2019, Az.: 13 U 1296/17


8. Kappe auf – Blitzerfoto ist dennoch verwertbar

,,Blitzerfotos‘‘ werden zum Beweis der Geschwindigkeitsüberschreitung genutzt. Doch was, wenn der Fahrer eine Basecap trägt und daher Teile seines Gesichts verdeckt sind? Das Kammergericht (KG) Berlin hatte darüber zu entscheiden.

Ein Autofahrer wurde geblitzt, als er statt mit erlaubten 60 km/h mit 96 km/h fuhr. Er bekam einen Bußgeldbescheid in Höhe von 160 € und einem Monat Fahrverbot, doch das wollte er so nicht akzeptieren. Seiner Meinung nach war er auf dem Foto gar nicht als Fahrer zu erkennen. Er legte Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein und bestritt, der Fahrer gewesen zu sein. Das Foto sei offensichtlich ungeeignet. Die Stirn des Fahrers sei so sehr durch eine Kappe verdeckt, dass keine Identifizierung möglich sei.

Verdeckte Stirn durch Basecap verhindert nicht die Fahrerermittlung

Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte den Fahrer zu einer Geldbuße von 320 € und einem Monat Fahrverbot. Der Richter verglich das Foto mit dem Gesicht des Mannes im Gerichtssaal. Er kam zu dem Ergebnis, dass u.a. die Gesichtszüge und die Gesichtsform eine so große Ähnlichkeit mit dem Foto aufwiesen, dass er als Fahrer festgestellt werden konnte.

Fahrer erkannt und Bußgeld wegen Vorsatz verdoppelt

Außerdem erhöhte der Richter die Geldbuße auf 320 €. Er ging davon aus, dass der Autofahrer vorsätzlich zu schnell gefahren war. In einem solchen Fall kann eine Geldbuße entsprechend erhöht werden. Die Schilder seien sehr gut sichtbar gewesen. Es muss davon ausgegangen werden, dass der Fahrer die Schilder gesehen und sich bewusst nicht an das Tempolimit gehalten hat. Gegen das Urteil legte der Betroffene Beschwerde beim Kammergericht Berlin ein, aber ohne Erfolg. Die Rechtsbeschwerde wurde zurückgewiesen.

Das Kammergericht bestätigte die Auffassung des Amtsgerichtes

Das Kammergericht Berlin, welches mit der Rechtsbeschwerde befasst war, stellte folgendes fest: Ein Richter darf ein „Blitzerfoto“ auch dann als Beweis verwenden, wenn die Stirnpartie verdeckt ist. Voraussetzung ist, dass Kriterien, wie die Schärfe des Bildes und Identifikationsmerkmale, wie z. B. Gesichtszüge, Gesichtsform, Ausformung und Verlauf der Augenbrauen, Erscheinungsbild der Mund- und Nasenpartie berücksichtigt werden. Anschließend ist das Ergebnis mit dem Betroffenen in der Hauptverhandlung zu vergleichen. Das hatte das Amtsgericht getan.

Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung ist ein Indiz für Vorsatz

Das Gericht stellt zudem fest, dass ab einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 40 Prozent regelmäßig Vorsatz angenommen werden kann. Der Fahrer hatte diesen Wert um 60 Prozent überschritten. Diese Indizwirkung kann im Einzelfall zwar entfallen, aber nicht im konkreten Fall des Fahrers mit der Basecap: die Schilder, die die Geschwindigkeit anordneten standen gut sichtbar links und rechts am Fahrbahnrand und es gab keine Anhaltspunkte, dass die Sicht des Fahrers behindert war. Außerdem war der Blitzer rund 600 m nach der Beschilderung aufgebaut, was nach Ansicht des Gerichts ausreichend war.

Kammergericht Berlin, Beschluss vom 18.6.2019, Az.: 3 Ws (B) 186/19


9. Keine Haftung des Fußgängers bei Unfall mit Segway auf Fuß- und Radweg

Fußgänger haben auf einem gemeinsamen Fuß- und Radweg gegenüber sog. Elektrokleinstfahrzeugen (z.B. Segways, E-Scooter) absoluten Vorrang. Ein Segway-Fahrer muss seine Fahrweise und Geschwindigkeit so anpassen, dass eine Behinderung oder Gefährdung von Fußgängern ausgeschlossen ist. Das hat das Oberlandesgericht Koblenz entschieden.

Eine Segway-Fahrerin fuhr mit einer Gruppe anderer Segway-Fahrer auf einem gemeinsamen Geh-/Radweg. Dort war ein Fußgänger unterwegs, der gerade Fotos machen wollte. Dabei ging der Fußgänger rückwärts und stieß mit der Segway-Fahrerin zusammen. Diese stürzte und verletzte sich, wobei es auch zu Folgeerkrankungen kam. Die Segway-Fahrerin verlangte von dem Fußgänger unter anderem die Zahlung eines Schmerzensgeldes und klagte. Die erste Instanz wies die Klage ab, weil die Segway-Fahrerin nach Ansicht der Richter den Unfall verschuldet hatte. Sie hatte auf den Fußgänger nicht genügend Rücksicht genommen, so die Richter.

Segway-Fahrer muss auf Fußgänger Rücksicht nehmen

Die Richter des OLG Koblenz bestätigten das Urteil. Fußgänger haben auf einem gemeinsamen Fuß- und Radweg absoluten Vorrang gegenüber Nutzern von sog. Elektrokleinstfahrzeugen.* Der Fußgänger muss sich daher nicht ständig nach Verkehrsteilnehmern, die die Strecke befahren, umsehen. Er darf vielmehr davon ausgehen, dass diese auf ihn Rücksicht nehmen, so die Richter. Dazu gehört, dass z.B. ein Segway-Fahrer seine Fahrweise und seine Geschwindigkeit anpasst und durch Warnsignale rechtzeitig und vernehmbar auf sich aufmerksam macht. Außerdem muss er – falls nötig –  Blickkontakt mit dem Fußgänger herstellen oder auf andere Weise eine Verständigung mit dem Fußgänger suchen. Wenn der Fußgänger nicht auf Warnsignale achtet oder reagiert, muss der Segway-Fahrer im Zweifel anhalten. Nur so kann eine Behinderung oder Gefährdung des Fußgängers vermieden werden, führten die Richter aus.

Reagiert der Fußgänger nicht auf Warnsignale, muss der Segway-Fahrer vorsichtshalber anhalten

Die Segway-Fahrerin war sich nach eigener Aussage nicht sicher, ob der Fußgänger sie wahrgenommen hatte. Sie hielt aber nicht an. Dadurch hat damit sie ihre Sorgfaltspflichten verletzt. Die Richter sahen darin ein so hohes Verschulden am Zustandekommen des Unfalles, dass ein Mitverschulden des Fußgängers wegen unachtsamem Rückwärtsgehen zurückstehen konnte.

OLG Koblenz, Urteil vom 16.4.2019, Az.: 12 U 692/18
Hinweis: Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

* Vorrang für Fußgänger auf gemeinsamen Geh- und Radwegen

Zum Zeitpunkt des Urteils galt die Mobilitätshilfenverordnung (MobHV). Seit dem 15.6.2019 gilt die Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV). Diese regelt in § 11 Abs.4, dass Fußgänger auf gemeinsamen Geh- und Radwegen Vorrang haben. Sie dürfen weder behindert noch gefährdet werden. Falls nötig muss die Geschwindigkeit von sog. Elektrokleinstfahrzeugen (z.B. Segways oder E-Scootern) an den Fußgängerverkehr angepasst werden.

10. Geschwindigkeitsbegrenzung vor Schule gilt auch an Feiertag

Gelten Geschwindigkeitsbegrenzungen von Montag bis Freitag auch an gesetzlichen Feiertagen, die auf diese Tage fallen? Und gilt das auch dann, wenn zusätzlich das Zusatzzeichen „Schule“ angebracht war? Diese Frage musste das OLG Brandenburg beantworten.

Zu schnell am Karfreitag unterwegs und geblitzt!

Am Karfreitag wurde ein Autofahrer mit 39 km/h geblitzt. Für die Straße war eine Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h angeordnet. Unter dem Verkehrszeichen 274, welches Tempo 30 km/h anordnete, war das Zusatzzeichen „Mo – Fr, 7 – 16 h“. Darüber das Schild „Schule“. Der Autofahrer wurde zu einer Geldbuße von 15 Euro vom Amtsgericht verurteilt.

Tempo 30 nur für tatsächliche Schultage?

Da er das so nicht akzeptieren wollte, wendete er sich mit einer Rechtsbeschwerde gegen das Urteil und argumentierte, „…dass die geregelte Geschwindigkeitsbegrenzung nach der Beschilderung vor Ort nur für die tatsächlichen Schulzeiten, nicht mithin an einem gesetzlichen Feiertag gelte.“

Geschwindigkeitsbegrenzung gilt an Feiertagen, die auf Wochentage fallen

Der mit der Sache befasste Senat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG) folgte dieser Meinung jedoch nicht. Nach Ansicht des Gerichts gelten Geschwindigkeitsbegrenzungen, die für Montag bis Freitag angeordnet werden, auch an gesetzlichen Feiertagen, die auf einen Wochentag fallen. „Im Interesse der Verkehrssicherheit dürfe es nicht dem einzelnen Verkehrsteilnehmer überlassen bleiben, nach einer differenzierten Betrachtung selbst zu beurteilen, ob die Anordnung einer Geschwindigkeitsbegrenzung aufgrund der örtlichen Besonderheiten auch für auf Wochentage fallende gesetzliche Feiertage sinnvoll ist und gelten soll.“ Daran ändert auch das Zusatzschild „Schule“ nichts.

Zusatzschild „Schule“ dient nur der Information

Bei dem Zusatzschild „Schule“ handelt es sich nach Auffassung des Gerichts nur um einen Hinweis an die Verkehrsteilnehmer, warum die Behörde hier eine Geschwindigkeitsbegrenzung angeordnet hat. Es ist insoweit eine reine Information, die selbst nichts zusätzliches anordnet – man könnte dieses Schild „Schule“ daher auch weglassen.

Beurteilung des Schutzbedürfnisses liegt nicht beim Autofahrer

Es ist allein Aufgabe der Behörde zu prüfen, ob Schulen an einzelnen Wochentagen wegen Ferien, gesetzlicher Feiertage oder sonstiger Besonderheiten geschlossen oder für bestimmte Veranstaltungen geöffnet haben und daher eine Temporeduzierung angeordnet werden soll.

Das Gericht führt in diesem Zusammenhang außerdem aus, dass der Straßenverkehr einfache und klare Regeln erfordert, und daher Unbequemlichkeiten, die sich aus einem der Regel entsprechenden Verhalten ergeben und die wie hier auch zumutbar sind, im Interesse der Verkehrssicherheit in Kauf genommen werden müssen.

OLG Brandenburg, Beschluss vom 12.9.2019, Az.: (2 Z) 53 Ss-OWi 488/19 (1774/19)

Praxishinweis
Die Rechtsprechung ist hier nicht einheitlich. Es gibt auch Gerichte, wie z. B. das Amtsgericht Wuppertal, das in seinem Urteil vom 28.Januar 2014 (Az.: 12 OWi-723 Js 1323/13-224/13) zu einem anderen Ergebnis kam und entschieden hat, dass eine Geschwindigkeitsbegrenzung (Zeichen 274), die mit dem Zusatzschild „Schule“ sowie „ Mo. – Sa., 7 – 18 h“ versehen ist, nicht an Feiertagen gilt.

Quelle: ADAC

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